Kirkenes

Ich fahre mit dem Schneescooter, lerne etwas von der samischen Kultur und esse Rentierherz

Ralf

5 Min. Lesedauer

Heute musste ich früher aufstehen als sonst, denn wir haben schon von zu Hause als letzte der geplanten Aktion einen Ausflug mit Schneescooter in Kirkenes gebucht. Gut, eigentlich wollte ich Hundeschlitten fahren, aber ein Versehen bei der Bestellung hat dann zum Schneescooter geführt. Also, wie gesagt, früh aufgestanden und gefrühstückt. Ganz klassisch diesmal. Rührei, dazu eine norwegische Variante von Kotbülla und kleine schmackhafte Würstchen. Schließlich brauche ich heute ja Energie. Kaum fertig, hieß es „rinn in die Klammotten“. Wir sind hier im hohen Norden und dazu weit östlich, auf etwa gleicher Länge wie St. Petersburg und Istanbul. Da kann es schon mal richtig kalt werden.

Als das Schiff dann endlich angelegt hatte, ging es mit dem Kleinbus zum Camp von Ulf, unserem Guide. Ein sehr lustiger Norweger, der viele kleine Anektdötchen zu erzählen hatte. Vor allem ist er Multitalent, doch davon später mehr. Viel überraschender waren die Temperaturen. Eine gute Freundin, die letztes Jahr hier etwa um die gleiche Zeit weilte, sprach von -20°C. Wie froh war ich, dass das Thermometer nur -1° C anzeigte. Und wie erfreut, dass die Sonne schien. Für Schneescooter war das alles gar nicht so verkehrt.

Im Camp hieß es dann erst einmal einkleiden. Meine Ausrüstung war zwar gut, aber der angebotene einteiliger Winterschneeanzug doch noch besser. Die Einweisung in das einfach zu bedienende Mobil war kurz. Es sind eigentlich nur drei Regeln zu beachten:

  • Vorsichtig fahren
  • Abstand halten
  • Grinsen, grinsen, grinsen

Dann hieß es, Schneemobil fassen und los fahren. Es ging zuerst einmal ganz langsam in Richtung zugefrorenen Fjord, über diverse kleine Hügel und vorbei an drei kargen Bäumchen. Für unerfahrene Fahrer wie mich durchaus ernst zu nehmende Hindernisse. So ein Schneescooter hat schon ein eigenwilliges Fahrverhalten. Auf dem Fjord dann Gas geben. Spitz 30 km/h. Mehr war nicht erlaubt. Das Gerät und ich kamen ganz gut miteinander aus und ich hatte auch noch das Glück, ein Gefährt ganz für mich alleine zu haben, so fiel mir vor allem das Einhalten der dritten Regel schon auf der ersten Etappe nicht wirklich schwer. Die war übrigens etwa 10-15 Minuten lang. Dann hieß es nach kurzem Stop: Richtig Gas geben. Nicht mehr als 60 km/h zwar (Tacho geht bis 160!), aber es durfte auch überholt werden. Yeah! Das macht Spaß! Vor allem das Verlassen der ausgefahrenen Spur und ab durch den unberührten Schnee! So richtig was für Jungs! Wobei – auch die Mädels hatten ihren Spaß!

Am Ende des Fjords stießen wir auf eine norwegische Fischerfamilie, die dort nach ihrer Tagesration Fisch angelte. Eisangeln in Reinkultur. Die beiden alten saßen auf ihren Schneescootern (das übliche Fortbewegungsmittel in der Natur hier) und ließen die Kinder angeln. Einiges hatten sie schon rausgezogen. Ulf musste es natürlich auch einmal veruchen. Er erzählte, dass die Fische besser beißen, wenn der Angler singt. Das scheinbar unvermeidliche geschah: Ulf sang. Der Fisch fand es wohl so schlecht, dass er den Köder einfach vom Haken gefressen hatte, natürlich ohne anzubeißen. Erst der zweite Versuch brachte dann den ersehnten Erfolg! Zwischenzeitlich hatten die Fischerskinder schon reichlich Beute gemacht. In fünf Minuten haben drei große Fische angebissen. Eine wirklich ordentliche Mahlzeit, für die man bei uns viel Geld hinlegen müsste.

Zurück wurde die fahrt dann noch wilder. Mit knapp 100 Sachen über den Fjord. Da werden die heftigen Seitenböen schon zu einem Problem. Aber das Grinsen wurde breiter und breiter. Kurz vor dem Camp dann noch ein Halt auf dem Fjord. Ulf wollte uns alle mit besagtem Grinsen im Gesicht fotografieren. Im Camp selbst gab es dann in einem Samen-Zelt einen heißen Kaffee und Samische Kultur sowie Schamanengesang von Ulf, der mit einem Mal zum Schamanen mutierte. Obwohl er doch eigentlich Norweger finnischer Herkunft ist, russisch spricht und auch ein „Business“ in Russland betreibt, was ihm ein Spezialvisa einbrachte. Mit diesem kann er zu jeder Zeit problemlos über die russische Grenze, dort ganz billig Zigaretten, Vodka und Diesel kaufen. Dazu muss man wissen, dass die russische Grenze nur 10 km entfernt ist. Bis Murmansk sind es nur ca. 150 km. Dieser besagte Norweger war nun plötzlich Same und sang einen schamanischen Gesang zum Weg finden (Path Finder Song). Dazu gab es noch „Samisches Viagra“, getrocknetes Rentierherz aus einem Rentierfellbeutel. Das besiegelte meinen Beschluss, hier zu bleiben und Rentiere zu züchten. Denn Rentierfleisch schmeckt wirklich prima! Ob als Snack, als Ragout oder Filet. Alles hat hervorragend gemundet. Daher Leute, seht’s mir nach, dass ist der letzte Bericht von meiner Tour. Diese endet nun hier! Ich gehe jetzt auf die Jagd, um den Grundstock für meine Rentierzucht zu legen und besorge mir zusätzlich noch ein russisches Universalvisum, um durch den Verkauf von Schapps und Zigaretten meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Macht es gut. Vielleicht hören wir ja noch mal voneinander …

O.K. Kurze Zeit später fällt mir wieder ein: Es gibt keine wild lebenden Rentiere in Nordnorwegen. Alle Tiere, die hier frei herumlaufen, gehören irgend einem Samen. Und die verstehen keinen Spaß, wenn man einfach eines mitnimmt. Also doch wieder zurück auf’s Schiff und ab in Richtung Südwesten, denn Kirkenes war der Wendepunkt dieser Reise. Mit Verlassen von Kirkenes kamen auch die Wolken. Und der Seegang! Endlich einmal richtig Schiff fahren. Beim Abendessen war das Restaurant trotz festen Essenszeiten und fester Tischzuordnung nur etwas mehr als halb gefüllt. Auch an unserem Sechsertisch saßen nur drei Leute. Es gab Filet vom Rentier. Köstlich!!

Ein kleines Intermezzo gab es bei einem Zwisachenstop in Vardø. Einige mutige Freiwillige haben sich zu einem Eisbad im Hafenbecken gemeldet. Ich hab mir den Spaß gemacht, sie beim Eisgang zu fotografieren. Diese Bilder und einige weitere hier:

Und, wie so oft, noch ein kleiner Nachtrag. Ursprünglich hatte ich vorgehabt, heute mit den Schlittenhunden zu fahren und in der Nacht dann den Schneescooter-Ausflug in’s Landesinnere mitzumachen. Gut, dass es so gelaufen ist, wie es ist. Der nächtliche Ausflug musste wegen Sturm abgesagt werden. Eben der Sturm, der mich auch schön in den Schlaf schaukelt.